Entwicklungsstörungen bezeichnen Störungen bei der Reifung des Gehirns ab der (frühen) Kindheit, so dass der Entwicklungsstand dieser Kinder nicht dem von durchschnittlichen Kindern entspricht. Störungen der Entwicklung nehmen einen kontinuierlichen Verlauf, d.h. sie verlaufen nicht in wechselhaften Phasen, wie viele andere psychische Störungen. Einer Entwicklungsstörung geht üblicherweise keine Periode normaler Reifung der betroffenen Funktion voraus, sondern die Entwicklung der jeweiligen Funktion ist praktisch von Anfang an gestört.

Bei Entwicklungsstörungen lassen sich verschiedene Arten von Störungen unterschieden. Hierzu gehören insbesondere:

  • Entwicklungsstörungen der Sprache und des Sprechens
  • Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten, z.B. Lese- und Rechtschreibstörung (Legasthenie), Rechenstörung (Dyskalkulie)
  • Entwicklungsstörungen der motorischen Funktionen
  • Tiefgreifende Entwicklungsstörungen, z.B. Autismus, Asperger und das Rett-Syndrom

Die Anzahl der Fälle der Entwicklung ist stark steigend. Hatten wir in Deutschland im Jahr 2019 noch 16.616 Fälle, so gehen wir im Jahr 2022 von ca.17.065 Fällen aus.

Auffallend ist, dass motorische und psychologische Symptome häufig gemeinsam auftreten. So zeichnet sich z.B. das Autistische Spektrum Syndrom häufig durch motorische Dyskoordination aus.

Kognitive Funktionen und Motorik

Wing stellte bereits in 1981 fest, dass veränderte Körperhaltung, Schritt und Gestik häufig beim Asperger Syndrom beobachtet werden und das Kinder mit klassischem Autismus nicht das gleiche Ausmaß an Defiziten beim Gleichgewicht und Grobmotorik aufweisen.

Dennoch konnte aufgezeigt werden, dass beide Syndrome – Klassischer Autismus und Asperger – mit rechtshemisphärischen Defiziten assoziiert sind.

Wie hängen motorische und kognitiv-emotionale Systeme nun zusammen?

In der Vergangenheit glaubte man, dass die motorischen Bereiche des Gehirns und jene Bereiche, die kognitive Kontrollfunktionen haben, verschieden sind. In den letzten Jahren jedoch erkannte man, dass Bereiche wie das Kleinhirn und die Basalganglien sowohl einen Einfluss auf die motorischen Funktionen als auf die nicht-motorischen Funktionen haben. Motorische und kognitive Funktionen des Gehirns sind also eng mit einander verbunden.

Mehr noch, heute betrachtet man die kognitiven Funktionen als geistige Vorwegnahme der Bewegung und man glaubt, dass geistige motorische Funktionen und Kognition identisch sind.

Plastizität des Gehirns

Das menschliche Gehirn ist extrem plastisch, d.h. die Verbindungen seiner Neuronen verändern sich mit seinen Aktivitäten und Erfahrungen. Die Stärke der synaptischen Verbindungen in den verschiedenen Bereichen des Gehirns wird mit wiederholter Aktivierung verstärkt.

Hebb’s Regel, die er schon in den 40er Jahren aufstellte, scheint bestätigt. Hebb nahm an, dass zwei Nervenzellen, wenn sie zeitgleich aktiviert werden, funktional verknüpft werden. Nach Hebb’s Ansicht ist ein Zellverbund ein System von Zellen, welches ursprünglich durch ein bestimmtes sensorisches Ereignis initiiert wird. Dieser Zellverband hat aber die Möglichkeit seine Aktivität beizubehalten nachdem der ursprünglich auslösende Reiz abgeklungen ist.

Hebb schlug vor, dass es wiederholte Aktivierungen des Zellverbundes braucht, um funktionelle Änderungen der synaptischen Übertragung zu bewirken.

Auswirkungen elektrischer Stimulierung auf die neuronalen Verbindungen

Bliss und Gardner haben gezeigt, dass Stimulierungen von Neuronen entsprechend der Art der elektrischen Stimulierung des Gehirns entweder kurze oder lang andauernde Veränderungen ihrer synaptischen Übertragung zeigen.

Zwei signifikante Ergebnisse hat dieses Experiment gezeigt:

Erstens, die Amplitude der nachgeschalteten Neurone stieg nach einer hochfrequenten Stimulierung deutlich an. Dieser Anstieg reduzierte sich wieder im Zeitverlauf und kehrte zur alten Intensität wieder zurück. Diese kurzzeitigen Anstiege werden auch posttetanische Potenzierung genannt.

Zweitens, die Anstiege der Antwort-Amplitude können auch auf einem höheren Niveau bleiben. In einzelnen Fällen kann diese Erhöhung bis zu zwei Monaten dauern. Dieser längerfristige Anstieg wird auch als Langzeitpotenzierung bezeichnet. Die Langzeitpotenzierung verlängert sich durch gelegentliche Wiederholung der hochfrequenten Stimulation.

Einfluss auf die Qualität neuronaler Strukturen durch Stimulierung von Muskeln und Gelenken

Ein auffallender Sachverhalt ist, dass alle Gehirnzellen die gleiche Grundstruktur aufweisen. Um die die Funktion und das Wachstum der Gehirnzellen zu gewährleisten, braucht es zwei Dinge. Erstens, Energie in Form von Sauerstoff und Glukose und zweitens die Stimulierung der Zellen.

Ohne Stimulierung degenerieren und sterben die Gehirnzellen, selbst dann, wenn ihnen genügend Sauerstoff und Glukose zur Verfügung stehen. Das wichtigste Element für das Wachstum der Gehirnzellen und das Wachstum des Gehirns selbst ist daher die Stimulierung der Zellen.

Es ist essentiell zu verstehen, dass die Entwicklung des Gehirns und seiner Gehirnzellen in ganz wesentlichem Ausmaß auch von der Stimulierung durch die Muskeln und Gelenke, insbesondere der Spinalmuskeln, abhängt.

Dies wird durch diverse Beispiele aus der Praxis bestätigt. Astronauten z.B. berichteten von einer „space dyslexia“ bei der sie die gleichen Symptome beschrieben, die wir auch bei Kindern mit ADHS und anderen oben beschriebenen Lernstörungen und kognitiven Prozessen haben.

Chiropraktik und kognitive Lernstörungen

Nach dem derzeitigen Stand der Forschung gehen wir davon aus, dass durch regelmäßige chiropraktische Behandlungen, insbesondere durch Justierungen der Wirbelsäule, eine gezielte Stimulierung der betreffenden Gehirnareale möglich ist und damit auch Kindern mit Entwicklungsstörungen geholfen werden kann.